Das aktuelle Wortstudio

  • Es war Hanns Dieter Hüsch, der dies dem Niederrheiner zuschrieb:


    Der Niederrheiner ist überhaupt zu allem unfähig. Er weiß nix, kann aber alles erklären. Umgekehrt: Wenn man ihm etwas erklärt, versteht er nichts, sagt aber dauernd: Is doch logisch. Und wenn er keinen Ausweg mehr weiß, steigert er sich in eine ungeheure Assoziationskette hinein. Er kann zum Beispiel in wenigen Sätzen von Stefan Askenase, dem berüchtigten Chopinspieler, auf die Narkoseschwester Gertrud kommen.

    Als aus Düsseldorf - das ich in diesem Fall eher dem Rheinland als dem Niederrhein zurechnen würde - zugezogener Niederrheiner kann ich das vollumfänglich bestätigen. Auch das macht das Leben hier so schön und interessant.

    "Ich will keine Zukunft - ich will Fortuna!"
    STUNDE X


  • Wortschatz entschlacken – eine Daueraufgabe


    »Wissen Sie, ich halte das nicht mehr aus. Es ist unerträglich.

    Ich kanns mir nicht mehr anhören.

    Dieses ständige Geschwätz. Entsetzlich.«

    Rudi Löhlein in Polt/Müller, ›Leberkäs Hawaii II‹



    Mit diesem Gerhard-Polt-Zitat leitet der Eckhard-Henscheid-Kenner und ehemalige Titanic-Autor STEFAN GÄRTNER seine kürzlich veröffentlichten Sprachbetrachtungen ein, die auch als Ideologiekritik verstanden werden können. In seinen geistreichen sprachkritischen Sticheleien schreibt er gegen die übelsten Torheiten unverdrossen an. So urteilt der Rezensent der Frankfurter Allgemeine Zeitung, und er fährt fort:


    »Gärtner, ehemaliger Titanic-Redakteur, jetzt Kolumnist in linken Organen und in seiner sensiblen Schärfe sowie Treff- und Geschmackssicherheit einer der zustimmungsfähigsten Autoren unserer Zeit, hat gegen eben diese allerhand auf dem Herzen und ist nicht gerade das, was man ›systemkonform‹ nennen könnte. Trittsicher, aber konsequent nur nach oben, gegen die meinungs- und bewusstseinsbildende Klasse, analysiert er auf dem Fundament des dialektischen Materialismus und mit Goethe, Schopenhauer, Nietzsche, Karl Kraus, Adorno und Henscheid auf Tuchfühlung den Sprachgebrauch, der ihm in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen so unterkommt. Dabei macht er, ganz ohne Erbsenzählerei, reichliche Beute.« (Edo Reents , FAZ, 22.07.2021)


    Hier eine Auswahl von übermäßig und häufig gedankenlos gebrauchten Wörtern und Wendungen, die im ›Wörterbuch des modernen Unmenschen‹ aufs Korn genommen werden:


    Die Mitwirkenden im ›Aktuellen Wortstudio‹ nahmen sich ja bereits der Kritik an so manchen Phrasen aus Management, Werbung und weiteren Soziolekten an. Der Untersuchungsstoff geht uns nicht aus. Vielleicht gehört zur Pflege des eigenen Wortschatzes folglich nicht nur dessen im Deutschunterricht angeregte stete Erweiterung, sondern auch lebenslang die bewusste Streichung gewisser Modewörter. Dabei hilft:


    STEFAN GÄRTNER: Terrorsprache. Aus dem Wörterbuch des modernen Unmenschen. Berlin 2021. Edition Tiamat, Critica Diabolis 289. 144 Seiten, br., 14,- EUR | Eine 20-seitige Leseprobe gibt es hier: https://edition-tiamat.de/wp-c…ache-Buch-seiten-1-20.pdf

    "Initiation bezeichnet die Einführung eines Außenstehenden [...] in eine Gemeinschaft oder seinen Aufstieg in einen anderen persönlichen Seinszustand ..." | [Quelle: wikipedia, abgerufen am 24.05.2013] Regionalliga West, Saison 1967/68, 15. Spieltag, 12.11.1967 | Fortuna 95 - Westfalia Herne 4:0

  • Da sind einige meiner "Lieblinge" vertreten.

    Ich erweitere gern um die inlfationäre "Gänsehaut".

  • " magisch" wird/ wurde auch gerne genommen.

    Einige dieser Worte sind aber sehr gut geeignet, "blumenreich" die Gefühlslage des Erzählenden zu "skizzieren".

    "Insofern"...

    Alles was ich schreibe beruht auf Fakten oder Hörensagen oder weil ich es mir so denke.
    Manchmal rate ich auch nur.
    Auf jeden Fall ist es meine Meinung oder die von jemand anderen die ich zu meiner gemacht habe.

  • Ich fühle mich auch nicht mitgenommen. Bin aber etwas mitgenommen.

  • Eure Entschlackungsversuche holen mich weder ab, noch berühren sie mich.

    Tatsächlich.

    Ich kann natürlich nicht für Andere sprechen. ICH habe keinen Entschlackungsversuch unternommen. Dafür bietet die deutsche Sprache viel zuviel Möglichkeiten des Ausdruckes. Mitnehmen werde ich aus Prinzip schon niemanden. Würde ich das wollen, müsste ich u. U. Kompromisse schließen. Abgelehnt! Und für Berührungen mögen auch Andere zuständig sein, bitteschön!

    Alles was ich schreibe beruht auf Fakten oder Hörensagen oder weil ich es mir so denke.
    Manchmal rate ich auch nur.
    Auf jeden Fall ist es meine Meinung oder die von jemand anderen die ich zu meiner gemacht habe.

  • Klingt für mich aber zumindest sehr militaristisch.

    Wenn das wort gruppenführer für dich militaristisch klingt, wie hast du's dann mit dem lokführer, reiseführer oder tabellenführer?


    Platzwart, Zeugwart, Torwart, Blockwart...

  • Klingt für mich aber zumindest sehr militaristisch.

    Wenn das wort gruppenführer für dich militaristisch klingt, wie hast du's dann mit dem lokführer, reiseführer oder tabellenführer?

    Gruppenführer gibt es nur beim Militär, der Polizei, der Feuerwehr und dem THW. So weit hergeholt ist es also nicht, wenn das Wort für jemanden militaristisch klingt. Lokführer, Reiseführer und Tabellenführer sind dagegen zivile Begriffe und taugen als Gegenbeispiele deshalb hier nicht.

    "Ich werde nie von einem Verein oder einem Präsidenten abhängen - ich glaub', in Österreich haben Präsidenten von österreichischen Fußballclubs mehr Sponsoren verjagt als jeder andere. Nicht einen Euro, wenn wir nicht die Kontrolle, die Verantwortung und die Geradlinigkeit innehaben." (Dietrich Mateschitz, angeblich nur ein normaler Sponsor...)

  • Gruppenführer gibt es nur beim Militär, der Polizei, der Feuerwehr und dem THW. So weit hergeholt ist es also nicht, wenn das Wort für jemanden militaristisch klingt.

    Gruppenführer gibt es also auch beim Militär. Die haben da - so habe ich als Wehrdienstdrückeberger zumindest gehört - aber auch Klos, Kaffeemaschinen und fließend warm Wasser.

    Ich führe die Vokabel wirklich nicht regelmäßig in meinem aktiven Wortschatz; irgendwie gefällt sie mir auch nicht. Allerdings würde ich sie nicht als militaristisch qualifizieren. Es geht halt um Anführer bzw. weisungsbefugte Leiter einer Gruppe, wie man sie in hierarchischen Organisation halt vorfindet.

  • Gruppenführer gibt es nur beim Militär, der Polizei, der Feuerwehr und dem THW.

    Und bei privaten Sicherheitsunternehmen. Die haben zwar nicht die staatliche Legitimation und die gleichen Rechte wie die Polizei, sind aber ähnlich organisiert und machen sich auch größtenteils die Sprache der Polizei zu eigen. Und darum ging es ja im Ursprung. Der Begriff wurde von den Ordnern in der Arena verwendet.

  • … Beschwerdeführer • Reiseführer • Bergführer • Flugzeugführer• Zugführer• Aufzugführer • Sprachführer • Buchführer • Karteiführer • Lokführer • Spielführer • Fahrstuhlführer, • Protokollführer • Anführer • Kranführer • Fremdenführer • Blindenführer • Wagenführer • Kraftwagenführer • Pferdeführer • Gruppenführer • Kassenführer • Listenführer • Registerführer • Baggerführer • Verführer • Vorführer • Rechnungsführer • Rädelsführer • Museumsführer • Oppositionsführer • Geschäftsführer • Mannschaftsführer • Bootsführer • Ausführer • Schriftführer • Frachtführer • Entführer • Transportführer • Bauführer • Wortführer • Brautführer …




    Die vom Sprecher gewählten Begriffe geben ihm oft genug Gelegenheit, seiner gesellschaftspolitischen Haltung Ausdruck zu geben. Das setzt voraus, dass Sprecher und Angesprochener den Signalcharakter solcher ›Signalwörter‹ verstehen und gleichermaßen verwenden. Die Liste mit Signalwörtern scheint jedoch lang und länger zu werden – und die überaus korrekte Verwendung an Stelle näherliegender und treffenderer Wörter, oft aus Unsicherheit resultierend, kann dann nicht selten langweilen.


    Nun war hier die Frage aufgeworfen worden, inwieweit heute noch von einem ›(Gruppen-)Führer‹ gesprochen werden mag, ohne Anstoß zu erregen. Ein Hinweis auf die Verwendung in Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, straffer Führungsstruktur und Befehlsketten wurde bereits gegeben (Bundeswehr, Polizei, THW, Hilfsorganisationen ...). Doch warum bereitet der Begriff ›-führer‹ vielen von uns ein Unbehagen oder zumindest eine Verunsicherung?


    Das Verb ›führen‹ ist aus dem seit dem 8. Jahrhundert belegten Verb ›fahren‹ abgeleitet, dieses im Sinne von ›veranlassen, dass sich etwas bewegt‹. Damit wäre doch die Aufgabe von Verantwortungsträgern in Wirtschaft und Arbeitswelt treffend bezeichnet. Es ist noch nicht lange her, da strebten junge, ehrgeizige Erwerbstätige danach, möglichst bald ›Führungskraft‹ zu werden, ›Führungskräfte‹-Fortbildungen zu absolvieren und ihnen anvertraute Mitarbeiter zu ›führen‹: Schon bald maßen sie einer zu gewöhnlich klingenden ›Berufslaufbahn‹ eine beamtenhafte Konnotation bei und wollten folglich ›Karriere‹ machen – ein Begriff der vormalig eher Stars und Sternchen aus dem Unterhaltungsgewerbe vorbehalten war.


    Doch im Zuge einer erhöhten Sprachsensibilität bei gleichzeitig abnehmenden Kenntnissen von Wortherkunft und -bedeutung waren plötzlich auch die Begriffe aus dem Wortfeld ›Führer‹ verpönt. Ein aktueller Blick auf die Titel, Themen und Begriffe der Ratgeber-Literatur zeigt das ebenso wie Heldentaten-Berichte in der Wirtschaftspresse: Nunmehr haben wir es also vor allem mit ›Leadern‹ zu tun, von denen folglich höchste Künste an ›Leadership‹ erwartet werden. Aha. Das soll also der Ausweg sein – einen präzisen, jedoch von Teilen der Sprachgemeinschaft als negativ konnotiert angesehenen, Begriff einfach durch einen englischsprachigen zu ersetzen?


    Wer dies aus Taktgründen möchte, sei daran beim eigenen Sprachgebrauch nicht gehindert. Doch man verlange dies bitte nicht auch vom Gegenüber. Eine Überfülle an Sprechverboten ist geistlos.


    So sollte es genügen, die wirklich ›verbrannten Wörter‹, ihre Geschichte und die Gründe ihrer Tabuisierung zu kennen. Orientierung gibt z. B. der Journalist, Historiker und Linguist Matthias Heine in seiner Betrachtung von über 80 Begriffen, die teils in diese Schublade gehören – und teils ausdrücklich begründet nicht. Der Begriff ›Führer‹ (jenseits einer ehedem und vorübergegangenen absoluten Verwendung als nomen proprium) gehört aus seiner (und meiner) Sicht weiterhin zu den unverfänglichen.


    MATTHIAS HEINE: Verbrannte Wörter. Wo wir noch reden wie die Nazis – und wo nicht. Dudenverlag, Berlin 2019.



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    Auch in diesen einschlägigen Publikationen finden sich keine Empfehlungen zur Tabuisierung des Begriffes ›Führer‹ jenseits seiner absoluten Verwendung:

    Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin 1998

    • Thorsten Eitz, Georg Stötzel: Wörterbuch der ›Vergangenheitsbewältigung‹. Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch. Hildesheim 2007

    • Gerhard Strauß, Ulrike Haß, Gisela Harras: Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist. Ein Lexikon zum öffentlichen Sprachgebrauch. Berlin 1988

    "Initiation bezeichnet die Einführung eines Außenstehenden [...] in eine Gemeinschaft oder seinen Aufstieg in einen anderen persönlichen Seinszustand ..." | [Quelle: wikipedia, abgerufen am 24.05.2013] Regionalliga West, Saison 1967/68, 15. Spieltag, 12.11.1967 | Fortuna 95 - Westfalia Herne 4:0

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  • Um die Sache abzurunden und dem Wort "Führer" ein wenig den Schrecken zu nehmen, noch ein humoristischer Spruch, der zu meiner Schulzeit auf dem Schulhof die Runde machte:


    Hitler war ein armes Schwein, der hatte nicht mal einen Führerschein. :D

  • Hier wird neuerdings inflationär das Wörtchen "liefern" benutzt. Freut mich, dass Herr Gärtner dies auch in seiner Auswahl hat. Wenigstens einer, der liefert.