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Diesem Auftrag folgend hatte das Osnabrücker Forscherteam um Professor Armin Schäfer, Vizechef der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft, die "Responsivität" der deutschen Politik überprüft, also inwieweit die Regierung tatsächlich durch Beschlüsse und Gesetze dem Willen der Bevölkerung folgt.
Diese Responsivität, oder "Bereitschaft zur Antwort", steht letztlich im Zentrum jeder Idee von Demokratie. Eine demokratische Regierung hat die Wünsche und Forderungen aller im Blick und handelt entsprechend. Der Auftrag der Bundesregierung, wissenschaftlich zu untersuchen, inwieweit sie diesen Anspruch selbst erfüllt, ließ aufmerken. Noch nie zuvor hatte eine deutsche Regierung das so grundlegend prüfen lassen.
Die Autoren der Studie analysierten dabei zunächst anhand der regelmäßigen Meinungsumfragen von ARD-Deutschlandtrend die Ansichten der Bevölkerung in etwa 250 Sachfragen. Untersuchungszeitraum waren die Jahre von 1998 bis 2015. Dann glichen sie diese Ergebnisse mit dem Handeln der Regierung in den Jahren danach ab. Was wurde umgesetzt, was nicht?
Die Analyse wies dazu noch einen entscheidenden Clou auf: Das Forscherteam unterschied die politischen Ansichten der Befragten gestaffelt nach deren Einkommen. Denn betrachtet man die Meinungen der einkommensschwächsten 10 Prozent (im Folgenden: "Arme") und die der einkommensstärksten 10 Prozent (im Folgenden: "Reiche"), dann ergeben sich teils drastische Unterschiede.
So wurde etwa bei einer Deutschlandtrend-Umfrage im Jahr 1999 danach gefragt, ob Vermögende stärker zum Abbau der öffentlichen Verschuldung herangezogen werden sollten. 70 Prozent der Armen stimmten dem Vorschlag zu, aber nur 46 Prozent der Reichen. Die Regierung orientierte sich an Letzteren. Im Jahr 2000 wurde gefragt, ob das Rentenniveau gesenkt werden sollte. Nur 43 Prozent der Armen stimmten zu, jedoch 64 Prozent der Reichen. Ergebnis: Das Rentenniveau wurde per Gesetz gesenkt.
2003, während der Diskussion um die Einführung der Hartz-Reformen, wurde gefragt, ob die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes gekürzt werden solle. Insgesamt gesehen war eine Mehrheit von 54 Prozent der Bevölkerung dafür. Betrachtete man aber die Einkommen getrennt, dann zeigte sich, dass zwar 69 Prozent der Reichen der Kürzung zustimmten, doch nur 44 Prozent der Armen. Gekürzt wurde trotzdem. Ein ähnliches Bild ergab sich bei der 2012 gestellten Frage, ob die Rente mit 67 rückgängig gemacht werden solle: 65 Prozent der Armen wollten das, aber bloß 33 Prozent der Reichen. Die Regierung folgte wieder dem Mehrheitswunsch der Wohlhabenden.
Wie die Studie zeigt, existieren die zweitgrößten Meinungsunterschiede zwischen Armen und Reichen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Noch stärker sind die Differenzen bloß in der Außenpolitik. Als 2007 danach gefragt wurde, ob die Bundeswehr möglichst schnell aus Afghanistan abziehen solle, stimmten 75 Prozent der Armen zu, gegenüber 43 Prozent der Reichen. Die Regierung überging auch diesmal die Geringverdiener, der Militäreinsatz wurde zunächst sogar noch intensiviert.
Je mehr Arme dafür sind, desto eher ist die Regierung dagegen
Dass solche Beispiele, die man in der Studie nachlesen kann, keine Einzelfälle oder Ausnahmen sind, fanden die Forscher in akribischer Kleinarbeit heraus. Die Ergebnisse sind eindeutig. So heißt es in der Untersuchung:
Je höher das Einkommen, desto stärker stimmen politische Entscheidungen mit der Meinung der Befragten überein. (…) Was Bürger mit geringem Einkommen in besonders großer Zahl wollen, hatte in den Jahren von 1998 bis 2013 eine besonders niedrige Wahrscheinlichkeit, umgesetzt zu werden.
Mehr noch: Eine politische Regelung wurde nicht nur umso eher von der Regierung umgesetzt, je mehr Reiche sie unterstützten. Das hatte man ja fast schon erwartet. Nein, ein Vorschlag wurde von der Regierung auch umso eher abgelehnt, je mehr Arme dafür waren! Die Forscher sprechen hier von einem "negativen Zusammenhang". Sie schreiben wörtlich, dass "die Wahrscheinlichkeit auf Umsetzung sogar sinkt, wenn mehr Menschen aus der untersten Einkommensgruppe eine bestimmte politische Entscheidung befürworten." Das bedeutet, dass die Regierung die Armen nicht einfach nur ignoriert, sondern praktisch aktiv gegen sie arbeitet.
Bei der Berücksichtigung der Ansichten der Mittelschicht sieht es laut der Studie ähnlich aus. Deren Forderungen werden von der Regierung annähernd im gleichen Maße ignoriert wie die der Armen. Das heißt konkret: Es ist für die Politik praktisch egal, wie viele Menschen aus der Mittelschicht eine bestimmte Veränderung wünschen. Es existiert jedenfalls so gut wie kein messbarer Zusammenhang zwischen der Zustimmungsrate für eine Forderung in der Mittelschicht und deren Umsetzung. Ein solcher Zusammenhang ist allein für die Wünsche der Einkommensstärksten nachweisbar, dort jedoch sehr deutlich."""
Damit sollte alles gesagt sein, bezüglich "Demokratie".