Als Klubchef ist man bei Hansa ein Drahtseiltänzer. Wer sich gegen die eigenen Anhänger stellt, bekommt schnell ihre Hausmacht zu spüren. Im Aufsichtsrat, der von den Hansa-Mitgliedern gewählt wird und den Vorstand bestellt, sitzt seit Jahren Sebastian Eggert. Er ist einer der Gründer der »Suptras«, der einflussreichsten Ultra-Gruppe bei Hansa. Marien sieht das Stadion als einen Seismografen für gesellschaftliche Entwicklungen. Den Rechtsruck, den es in der Republik gibt, nimmt er auch bei Hansa wahr. An Sprüchen oder Aufklebern, auf denen eine Super-Mario-Figur den rechten Arm hebt, daneben steht: »Heil Hansa«. Und dennoch, sagt er, tue man dem Verein Unrecht, wenn man ihn als Neonazi-Klub bezeichne. Wie die Choreo von »Plattenbau Rostock« bewertet wurde, ist für Marien »typisch dafür, wie man über uns und unser Land denkt«. Sein Bild vom Klub sei ein ganz anderes. Hansa sei »der Klub des Bundeslandes«. (...)
Robert Marien hat irgendwann resigniert. Vergebene Liebesmüh. »Uns interessiert inzwischen überhaupt nicht mehr, was andere über uns denken.« Die organisierte Fanszene reagiere ähnlich auf Pauschalurteile. Er habe manchmal das Gefühl, dass vor allem junge Leute denken: Gut, dann ist es uns doch egal. »Dann treiben wir das vor uns her.« Dann fliegen wieder Raketen aufs Spielfeld. Dann gibt es doppeldeutige Choreos. Dann ist wieder »Krieg«.
Steffen Mau, 55, ist Professor an der Humboldt-Universität Berlin und einer der renommiertesten Soziologen Deutschlands. Er hat einen Begriff für dieses Phänomen: »Ost-Trotz«. Mau ist in Lütten Klein aufgewachsen, einer Plattenbausiedlung im Rostocker Norden. In einem Buch von 2019 beschreibt er das Leben dort in der DDR und der Nachwendezeit. Ost-Trotz bedeute: »Wenn ihr uns so negativ seht, dann benehmen wir uns auch so«, sagt Mau. Psychologisch gesehen sei diese Reaktion des »Ossis« auf die Ablehnung des »Wessis« eine Form der Reaktanz. »Ein innerer Widerstand gegen äußere Einschränkungen oder Bevormundung. Das fördert die Tendenz, das zu tun, was verboten oder unerwünscht ist.«
Mau forscht zur Frage, ob es gut 34 Jahre nach der Wende noch Unterschiede zwischen Ost und West gibt. Bei seinen Erhebungen hat er festgestellt, dass vor allem Ostdeutsche unter 30 es so sehen, Westdeutsche aber kaum. »Es gibt also ein Reservat der ostdeutschen Identitätsbildung. Das kann unter anderem im Sport gut aktiviert werden.« Kann man bei Hansa im Kleinen ein Phänomen wiedererkennen, das im Großen auf der politischen Ebene zu beobachten ist? Das Erstarken der Rechten im Osten hat viele Gründe. Mau sieht auch einen Zusammenhang zum »Ost-Trotz«. »Die AfD verstärkt ihn, sie instrumentalisiert die ostdeutsche Identität«, sagt er. »Ostdeutsch« sei bei ihr zur Chiffre geworden für einen imaginären Kulturkampf. Wer ostdeutsch ist, sei in der Lesart der AfD nicht mehr rückständig, sondern fortschrittlich. Er stelle sich gegen den verweichlichten Westen. »Hier findet eine Aufwertung des Ostens statt, und das zieht Menschen an.«
Robert Marien sagt, die nächsten vier bis fünf Jahre seien entscheidend für Hansa. Er träumt von 50.000 Mitgliedern und davon, »dass nicht die Negativschlagzeilen auftauchen, wenn man nach Hansa googelt«. Peter Czoch wird auch in Zukunft zu seinem Klub halten. Manchmal, sagt er, komme es ihm so vor, als gebe es bei Hansa ein Leitmotiv: »Missverstanden und Bock darauf«. Man gefällt sich in der Ablehnung, und auch in der Opferrolle.