Meyer-Lindenberg: Natürlich ist es eine schwierige Gratwanderung, in einer Satiresendung über sexuelle Gewalt zu sprechen, und sei es wie in diesem Fall über Verschwörungsmythen. Und ob es dem Thema dienlich ist, eine einzelne Therapeutin teils wegen ihres Aussehens lächerlich zu machen, ist fraglich. Aber es eben ein Satire-Format. Was mich beeindruckt hat: Die Sendung war gut recherchiert. Da hat Böhmermann nichts falsch gemacht. Das Thema war klar definiert, die Probleme waren gut herausgearbeitet.
SPIEGEL: In der Sendung wurde kritisch hinterfragt, ob Menschen durch Folter und Missbrauch so bearbeitet werden können, dass sie »programmiert« sind und lebenslang gesteuert werden können.
Meyer-Lindenberg: Ein Mechanismus, der auch Mind-Control genannt wird – und der in der Form überhaupt nicht existiert. Was zudem problematisch ist: Da spielen jahrhundertealte Verschwörungsmythen mit rein. Von blutsaufenden Eliten ist die Rede, von Satanskulten. Für nichts davon gibt es Belege.
SPIEGEL: Warum gibt es dann Patienten, die so etwas nach einer Therapie berichten?
Meyer-Lindenberg: Scheinerinnerungen, sogenannte False Memories, können durch suggestives Befragen entstehen. Das muss noch nicht einmal vorsätzlich passieren, manche Therapeuten sind vielleicht überzeugt, dass es solche brutalen Verbrechen in ominösen Geheimzirkeln tatsächlich gibt. Trotzdem bleibt es ein Therapiefehler, wenn bei Patienten solche Scheinerinnerungen hervorgerufen werden.
SPIEGEL: Die Aufarbeitungskommission hat in ihrer Programmbeschwerde kritisiert, Jan Böhmermann würde in dieser Sendung Opfer verunglimpfen.
Meyer-Lindenberg: Das sehe ich nicht. Natürlich muss man in dieser Debatte sehr aufpassen: Es gibt Menschen, die schwere organisierte sexuelle Gewalt erleiden müssen, auch mit Folter. Und es gibt Menschen, die sich an manches davon gar nicht oder erst spät erinnern. Aber ich finde, Böhmermann hat das gut eingeordnet. Wenn es therapeutische Fehler gibt, die solche falschen Erinnerungen induzieren, gehören die auch benannt. Das ist im Interesse aller Opfer. Wir tun niemanden einen Gefallen, wenn wir die Nebenwirkungen von Psychotherapien, die es hier wie bei allen Therapieformen gibt, nicht benennen.