Differenzierung wäre eigentlich angesagt, aber genau die findet in großen Teilen der Bevölkerung und am Stammtisch nun mal nicht statt.
Du kritisierst, daß am Stammtisch nicht differenziert wird, aber genau das machst du doch auch nicht. Du bezeichnest den Vermieter mal eben als deutschen Miethai, kennst aber genauso wenig wie ich den Vermieter (es könnte ja auch ein Nichtdeutscher sein!?), kennst nicht die Wohnung bzw. die Wohnungsgröße oder ob es sich nicht doch eher um ein Haus handelt. Du Kennst nicht die Gegend, wo die Familie wohnt.
Um dem gleich etwas hinzuzufügen - ich hatte erst letztes Wochenende ein Gespräch über Miethöhe und Mietsituation in einer bürgerlichen, zentral gelegenen Wohngegend. Dort beschrieb eine Freundin, dass der Vermieter selbst im Haus wohnt und bei Missständen auch selbst Hand anlegt, um die Nebenkosten zu verringern. Die Kaltmieten liegen dort bei 3-5 Euro/m2 (Altbau, teilsaniert) - und wo befand ich mich? - In Chemnitz, das statistisch als Großstadt mit den geringsten Miethöhen in Deutschland gilt. An dem Mietwucher und Spekulationsobjekten in Großstädten wie München, Hamburg, Berlin usw. ändert das nichts, aber ich glaube, dass unter den darunter Leidenden die Wähler der AFD eher unterrepräsentiert sind.
Auch unter den hier montäglich rumlaufenden Pegida-Jüngern wird man nur Wenige finden, die Solidarität mit Wohnungssuchenden in München oder Kreuzberg bekunden werden, dafür Mehr die vor einer Islamisierung warnen, für die man schon sehr Statistiken zurechtdrücken und ausgesuchte News bemühen muss, um dafür Gründe zu finden. Warum gehen sie nicht auf die Straße gegen Steuergesetze, die Wohlhabende bevorteilen, warum setzen sie sich nicht für allein erziehende Mütter ein, warum gehen sie nicht dagegen vor, dass Hartz 4 sogar um Beträge gekürzt werden, die eine wohlwollende Großmutter ihrem Enkel als Haushaltshilfe blöderweise überwiesen hat ? - Wir reden hier immer von versagenden politischen Parteien. Geschenkt - es geht ja hier um Protest, um außerparlamentarische Opposition. Aber anstatt gegen Missstände aufzubegehren, die Viele tagtäglich real betreffen, marschieren seit Jahren irgendwelche Schreihälse gegen "Volksverräter", Frau Merkel" und das Fremde schlechthin über die Straßen.
Daran wird deutlich, dass es eben nicht um Renten oder Miethaie geht, sondern dass diese nur als Feigenblatt dienen, um zu verdecken, dass es ausschließlich um "Stimmungsmache" zu eigenen Zwecken geht - ganz profan um die eigene Machtstellung. Hier in Ostdeutschland hat die AFD viele Punkte mit der Integrierung der noch in der Türkei lebenden Eltern von "Gastarbeitern" in deren gesetzliche Krankenversicherung machen können - die Nachricht ging herum wie ein Lauffeuer. Hintergründe des Gesetzes aus den 60er Jahren einer damals mehr als konservativen Regierung und die tatsächliche wirtschaftliche Größenordnung spielen keine Rolle - es passt ja bestens zu den eigenen Vorurteilen. Vor 3 Jahren, als die Flüchtlingswelle auf dem Höhepunkt war, lagen Zettel im Briefkasten, die die Schließung eines ALDI-Marktes auf Grund krimineller Flüchtlinge beklagten. Der ALDI liegt in einem entfernten Stadtteil Dresdens, wurde nie geschlossen und ist heute noch präsent, aber ich bin mir sicher, gerade die ältere, nur noch wenig bewegliche Bevölkerung glaubte das sofort. Auch die hier viel diskutierten öffentlich-rechtlichen "Zwangsgebühren" oder die Politiker-Diäten gehören zu diesem Themenbereich, dabei komplett auslassend, dass das Kleingeld ist, gemessen an Bankenrettung, Rentenkosten usw. Wir alle bezahlen so viele versteckte Kosten (siehe oben Miet-Nebenkosten als Beispiel), aber diskutieren seitenlang über 10 Euro plus/minus monatlich wegen angeblicher Verschwendung von Fernsehgeldern.
Es ist ja nicht so, dass ich nicht ebenso tiefsitzende Vorurteile habe. Wenn ich jetzt, wie bei der Befragung des angehenden Verfassungs-Richters in den USA höre, dass dieser mit einem Kumpel als 17jähriger versucht hat, eine 15jährige zu vergewaltigen, glaube ich das instinktiv sofort. Irgendwelchen von sich überzeugten Highschool-Jüngelchen aus bürgerlich-potentem Hause traue ich emotional jede Schandtat zu, aber das bedeutet nicht gleichzeitig, dass ich das nicht hinterfrage und kritiklos verbreite. Dass ist das, was ich von jedem einfordere, auch in Gesprächen, wenn Jemandem mir gegenüber eine Bemerkung rausrutscht. Ich kritisiere das nicht als solches und gestehe Jedem zu, seine Meinung zu sagen, aber ich will wissen, warum er es sagt und was er wirklich denkt. Das fordere ich ein, auch wenn man sich danach aus dem Weg geht - das kann man letztlich sowieso nicht beeinflussen,
Gruß Udo