Ich hatte das Glück, drei Jahre lang beruflich mit Daniel Thioune in Osnabrück arbeiten zu dürfen, deshalb teile ich hier einfach mal ein paar Einblicke, um vielleicht einige Vorbehalte und Misstrauen gegenüber seiner Person entkräften bzw. bestätigen zu können. Meine persönliche Meinung vorweg: Ich bin sehr froh, dass die Verantwortlichen um Klaus Allofs die Notbremse gezogen und Christian Preußer von seinen Aufgaben entbunden haben. Mit Daniel Thioune wird jetzt ein Nachfolger kommen, der zu 100 Prozent zu unserem Verein passt und der charakterlich ein absolut gradliniger Typ ist. Und es kommt jemand, der auch alle Voraussetzungen mitbringt, um hier langfristig erfolgreich zu sein.
Thioune hat seinerzeit in Osnabrück übernommen, als der Verein an einem Scheideweg stand und drohte, in die vierte Liga abzusteigen. Der Vorgänger Joe Enochs (jetzt Zwickau, in Osnabrück eine Vereinslegende) wirkte in der Krise zunehmend ratlos ob der desolaten Auftritte der Mannschaft. Thioune hat, nachdem er zuvor die U17 und U19 erfolgreich trainierte, übernommen und der Truppe auf Anhieb neues Leben einhauchen können. Klar, es lief nicht alles auf Anhieb rosig. Allerdings war der Angsthasenfußball, der zuvor unter Enochs fabriziert wurde, schneller abgestellt als man erahnen konnte. Die Mannschaft trat deutlich mutiger auf, es gab von jetzt auf gleich ein aggressives Pressing und plötzlich fand man auf dem Spielberichtsbogen nicht nur eine, sondern gleich drei Spitzen. Das 4-3-3 ist sein favorisiertes System, wobei (angepasst auf den Gegner) gerne auch 4-2-3-1 aufgestellt wurde. An der Seitenlinie war endlich jemand, der aktiv auf das Spielgeschehen ein- und emotional mitging und das Publikum auf seine Seite ziehen konnte, wenn es drauf ankommt.
Im zweiten Jahr stieg man dann mit einer Mannschaft auf, die punktuell ergänzt wurde. Sicherlich muss man hier auch die Arbeit vom damaligen Sportdirektor Benjamin Schmedes hervorheben. Thioune, und das muss man ihm hoch anrechnen, hat es jedoch verstanden, eine gefestigte Mannschaft aus erfahrenen Spielern (Marc Heider, Uli Taffertshofer, Marcos Alvarez) mit einigen jungen Spielern (Felix Agu, Nils Körber) zu entwickeln. Aus einer Abstiegsmannschaft, die zuvor mit jeder Niederlage sichtlich mit vollen Hosen ins nächste Spiel ging, wurde ein souveräner und selbstbewusster Aufsteiger, der Rückschläge wegstecken konnte. Das Beispiel Felix Agu, den Thioune als Trainer der U17 und U19 entwickelte zeigt, dass er jungen Spielern vertraut und sie als Verstärkungen auf den passenden Positionen integrieren kann. Und das wichtigste: Spieler, die unter dem Vorgänger völlige Grütze gespielt haben, wurden plötzlich wieder Leistungsträger.
Grundsätzlich kann man sagen, dass Thioune weiß, wie man zu einer Mannschaft wird. Ein Beispiel: In der Vorbereitung der Aufstiegssaison gab es ein Trainingslager/Kanu-Camp, in dem ein Spieler vor der Mannschaft sagte, sein Ziel sei die Meisterschaft. Thioune hat diese - zugegeben sehr vermessene Aussage nach dem Fast-Abstieg im Jahr davor - aufgenommen und mit Leben gefüllt. Im Laufe der Saison gab es in der Kabine Bilderrahmen, in denen Nummern mit den übrigen Siegen bis zum fixen Aufstieg zu sehen waren. Jeder Sieg wurde entsprechend mit einem Austausch eines neuen Bildes gefeiert. Das hat den Mannschaftsgeist gestärkt und die Truppe durch das Jahr getragen (übrigens auch häufiger in Spielerinterviews bei diversen Saisonrückblicken zu hören). Hinzu kommt, dass fast alle Spieler des Kaders eingesetzt wurden, wodurch a) der Konkurrenzkampf und b) die Stimmung hochgehalten wurde.
Was man allerdings nicht unterschätzen sollte: Mit Merlin Polzin hatte Thioune einen sehr jungen und taktisch äußerst fähigen Co-Trainer zur Hand, der ja heute auch noch beim HSV an der Seite von Tim Walter aktiv ist und die Trainingsarbeit hervorragend gestaltet(e). Ich bin sehr gespannt, ob ein neuer Co-Trainer mitgebracht bzw. wer die Rolle von Polzin ausfüllen wird.
Warum ich Thioune als gradlinigen Typen sehe: In Osnabrück hat sich über die Jahre ein Selbstverständnis unter den Trainern breit gemacht, das ein Infragestellen der Arbeit mit einer Gotteslästerung gleichsetzte. DT war erfrischend anders, nahm einen in seinen Gedanken mit, stand - auch nach Niederlagen - am Folgetag auf dem Trainingsplatz immer Rede und Antwort, ohne sich in belanglosen Floskeln zu verlieren oder sich wegzuducken. Mit Spielern kommuniziert er klar und lautstark auf dem Trainingsplatz. Jeder weiß, woran er ist und was gefordert wird. Als Marcos Alvarez, immerhin zum damaligen Zeitpunkt der Akteur mit den meisten Torbeteiligungen, ein paar Kilos zu viel auf den Rippen hatte, hat Thioune ihn trotz guter Leistungen für einige Spiele auf der Bank schmoren lassen.
Was ihm beim HSV wohl Genick gebrochen hat bzw. was er hier abstellen sollte: In Osnabrück war die Variabilität und das Anpassen des System auf den Gegner noch eine große Stärke, die ihn beim HSV abhanden gekommen ist. Hinzu kommt, dass er die Dynamik bei einem solchen Traditionsverein damals wohl noch nicht richtig einordnen konnte. Und all jene, die vom Trainer viele bzw. frühzeitige Auswechslungen fordern: ihr braucht starke Nerven.
Ich glaube dennoch, dass diese Entscheidung eine sehr, sehr kluge von Allofs ist. Und ich habe ziemlich Bock auf einen Trainer bei Fortuna, der seine verkorkste Amtszeit beim HSV revidieren und alles dafür tun würde, bei einem größeren Traditionsverein in Deutschland Erfolg zu haben.
