Die Gefahr, die von solchen Projekten ausgeht, ist vielleicht zum einen der Verlust der Autonomie eines Vereins. Er wird zum Spielball eines Interessenträgers. Er wird als Werbeobjekt instrumentalisiert und ausschließlich unter betriebswirtschaftlichen Aspekten betrachtet.
Andererseits frage ich mich, ob dieser Weg nicht schon längst unumkehrbar beschritten worden ist. Der Alltag der Bundesliga ist tatsächlich vollständig ihrer totalen Vermarktung untergeordnet. Vertraglich werden bis zur Anzahl der Interviewminuten vor und nach dem Spiel, Hintergrundeinblendungen, Werbepausen, Bandenwerbung, geregelt, Autogrammaktionen bei den Sponsoren, Interviews mit der Presse, Trikotwerbung, Sendezeiten, das Korsett aus DFB, DFL, UEFA und FIFA Regularien.
Wo ist heute noch die Autonomie des Vereins? Was unterscheidet uns – abgesehen von der Herkunft, Tradition und Geschichte - zum jetzigen Stand von einem Plastikprodukt wie RB oder SAP? Wie selbständig kann unser Verein eigentlich noch agieren? In welchen Angelegenheiten?
Der andere Vorwurf – nämlich der, zur Werbebande instrumentalisiert zu werden - schlägt ein bisschen zurück. Natürlich sind jetzt schon die Vereine Werbeträger ihrer Sponsoren und wandelnde Litfasssäulen.
Was ist mit dem Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung? Schon jetzt können Vereine, die finanzkräftige Sponsoren haben, logischerweise mehr investieren, als die, die solche Sponsoren nicht haben. Wenn die Allianz AG soeben bei Bayern mit 110 Mio. einsteigt, und darüber hinaus den Stadionnamen sponsort, reden wir vermutlich über keine anderen Summen, als wenn Hopp von 2000 bis 2011 rund 240 Mio. in Hoffenheim investiert hat (laut Wikipedia). Wieviel haben VW oder Bayern in den letzten Jahren in ihre Profi Fußballmannschaft investiert (erlaubterweise wegen der „Lex-VW“)? Aus welchen Gründen? Aus Liebe zum Sport? Wieviel Geld der HSV verbrannt hat, hören wir ja inzwischen täglich.
Schon seit langem richtet sich die Wettbewerbsfähigkeit des Vereins – gerade in sportlicher Hinsicht – nach der Attraktivität der Möglichkeit seiner Vermarktung (aus Sicht potentieller Sponsoren). Da mag es Ausnahmen geben, Augsburg, Braunschweig, Mainz, vielleicht sogar Freiburg. Doch wer etabliert sich dauerhaft in den Spitzengruppen der Bundesliga? EON, Gasprom, Allianz, Bayer, VW, Postbank. Macht es da wirklich einen Unterschied, ob hier noch ein weiterer Name (RB) erscheint?
Was erlaubt einem Fan daher die Identifikation mit einem Verein?
Kurzfristig: Erfolg. Wer erfolgreich ist, hat viele Kunden. Wer gute Spieler hat, hat größere Chancen, erfolgreich zu sein, wer mehr Geld hat, hat größere Chance, gute Spieler zu kaufen. Der Nachteil dieser kurzfristigen Strategie ist, dass Erfolg auch mit guten Spielern nicht vollständig planbar ist und daher die Identifikation dieser Kundengruppe mit dem Verein sehr schwankend ist.
Langfristig: Gemeinsame Geschichte. Wer eine lange, gemeinsame (Leidens-) Geschichte mit dem Verein hat, wird sich auch weiterhin langfristig mit ihm identifizieren. Dafür braucht der Verein Werte, für die er steht. Diese Werte haben sich im besten Falle jahrelang herausgebildet. Die kann man nicht kaufen, man kann sie aber recht schnell verwässern und zerstören.
Vermutlich liegt genau hierin die größte Gefahr der Entwicklung um RB herum. Nicht, dass neue Plastikvereine die Bundesliga überschwemmen, sondern dass Traditionsvereine im Wettbewerb mit den Goldeseln ihre Werte vernachlässigen und damit langfristig ihre Basis zerstören. Sportlicher Erfolg kostet Geld. Werte können aber bei der Geldbeschaffung recht hinderlich sein (es sei denn, sie können zur Geldbeschaffung vermarktet werden). Vereine laufen Gefahr, zu einem austauschbaren Produkt zu werden, das sich von der kurzen Aufmerksamkeitsspanne eines Kunden abhängig macht.
Ein ziemlich vielschichtiges Problem. Ich fürchte, der Protest gegen RB kommt zu spät. Wir haben alle Vorteile aus der kompletten Kommerzialisierung des Fußballs gezogen. Fußball 24/7 ist möglich. Den Preis zahlen wir jetzt.
[end of rant]