Ganz großen Respekt!
Ich hatte dieses Jahr Januar/Februar, teils gesundheitlich, teils durch großen privaten Stress bedingt, heftigste Panikattacken, diese Abwärtsspirale war erschreckend!
Das Ganze wurde mit Medikamtenten behandelt, die mich völligst aus dem Leben geschossen haben, daher kann ich alles, was Du beschreibst komplett nachvollziehen.
Glücklicherweise kam ich irgendwann an einen Punkt, an dem ich mich selber aus dem Mist ziehen konnte, wahrscheinlich auch dadurch, dass es für den gesundheitlichen Aspekt eine harmlose Erklärung gab und weil der Zustand noch nicht allzu lange angedauert hatte.
Danke.
Ich habe eine Gesprächstherapie gemacht. Eine medikamentöse Therapie wollte ich nicht. Das Problem war aber, dass die meisten Therapeuten und Psychologen eher an der Wiederherstellung der Arbeitskraft als an der Gesundung des Patienten interessiert waren.
Nur, weil man nach einem Psychologiestudium diplomiert die Uni verläßt, hat man noch kein bißchen Übung im Umgang mit Kranken. Viele wollen das auch gar nicht haben, viele können auch keinen Übungseffekt erlangen, weil sie auch keinen Perspektivwechsel hinbekommen. Da reicht es zum Wiederherstellen der Arbeitsfähigkeit von Erna Doof, deren Gatte in einer zerstörten Ehe fremdfickt, oder von Willi Wichtig, der mit seinem exorbitanten Arbeitspensum nicht mehr klarkommt und lernen muß, "sich abzugrenzen", und das genügt den Feld-, Wald- und Wiesentherapeuten. Diese Klapskallis sollten besser Hamster reparieren.
Es ist mit Kliniken wohl wie mit Therapeuten: Man kann in dem Haufen von unfähigen Trotteln auch fähige Psychotherapeuten finden. Aber die Masse der Therapeuten ist eben auch auf die Masse der Patienten und deren recht alltägliche Probleme ausgerichtet. Da ist dann der typische Matsch aus Eheproblemen, Midlife-Crisis, leichte Zweifel innerhalb des eigenen Mikrokosmos, ein Empfinden einer diffusen und zerrenden Sinnlosigkeitsempfindung, meinetwegen auch Erschöpfungsdepressionen, aber der überwiegende Teil der Betroffenen wird wohl kaum am System als solches zweifeln.
Und diesen Nicht-Zweiflern kann man dann relativ einfache Ratschläge an die Hand geben, um den nächsten Zusammenbruch wenigstens etwas zu verschieben - man doktert ja nur am Symptom herum. Aber wem das reicht - ok. So lange man daraus keinen zwangsweise einzuhaltenden Standard macht.
Ich bin bestimmt kein Vertreter der Psychiatrie oder eines blinden Wissenschaftsglaubens, aber es gibt eben auch gute und verantwortungsvolle Psychiater und man muss dort bei der Arztwahl eben genau so aufmerksam sein wie sonst (hoffentlich) auch. Wenn ein Psychiater die Ursachen der Problemlage seines Patienten diesem als Alleinverantwortung aufdrückt, ist er zu meiden. Das System, die Bedingungen, in denen der Mensch lebt, ist immer Teil seines Selbst. Wenn ein Psychiater oder auch Psychologe das nicht anerkennt, sollte man die Beine in die Hand nehmen.
Was erst mal zu verbessern ist, ist, daß man aus lauter Verzweiflung bei schlechten Psychiatern oder Psychotherapeuten bleibt, weil man nur Termine nach lächerlich langen Wartezeiten (bis zu einem halben Jahr sind keine Seltenheit) bekommt. Wenn man dann endlich im Behandlungszimmer sitzt, ist man bei entsprechendem Leidensdruck froh, eine Anlaufstelle gefunden zu haben, und nimmt fälschlicherweise einiges inkauf, um nicht erneut lange warten zu müssen.
Was die Medikamente angeht, ist leider nach wie vor in der Psychiatrie viel "Ausprobieren" angesagt. Es ist eben nicht "Depression-->Antidepressivum X", "Psychose-->Neuroleptikum Y". Ein gebrochenes Bein wird immer eingegipst werden, die Knochenheilung muß gewährleistet werden, das war so und wird mit kleinen Änderungen im Detail immer so bleiben. Aber das Gehirn und sein biochemisches Gleichgewicht sind von Individuum zu Individuum verschieden, auch bei Gesunden. Und es ist hier Mitdenken des Patienten gefragt. Wer ein Präparat verschrieben kriegt, sollte immer auch selbständig recherchieren, was es für Nebenwirkungen hat. Und wenn das Medikament eigentlich kontraindiziert ist, weil man gewisse Sachen nicht verträgt, und man hat dem Psychiater das voher klar gesagt, er hat es aber ignoriert, dann ebenfalls den Arzt wechseln.
Natürlich kann es auch vorkommen, daß es sich erst herausstellen muß, ob ein Medikament funktioniert. Beziehungsweise: Es kann nicht vorkommen, es ist in der Psychiatrie die Regel. Für solche und für andere Fälle, in denen man auf sofortige ärztliche Hilfe angewiesen ist, hat mein Psychiater Notfallsprechstunden. Da kriegt man am selben Tag noch einen Termin.
Und was das Erfinden von Krankheiten angeht: Viele Krankheiten sind vor 50 Jahren schlicht undiagnostiziert geblieben. Da hat sich ein Depressiver eben einfach mies gefühlt, ohne zu wissen, was mit ihm los ist und hat sich aufgehängt. Oder der Psychosekranke stand auf seinem Hausdach und verkündete, Jesus zu sein und predigte. Der war dann halt der Dorfdepp, der Sonderling. Aber deswegen nicht gerade besser dran oder besser integriert.
Persönlichkeitsstörungen zum Beispiel sind immer auch (meiner Ansicht nach) ursächlich in der Gesellschaft auszumachen. Natürlich verändert sich die Gesellschaft, es verändern sich Lebensbedingungen, und anders als beim oben angeführten gebrochenen Bein verändern sich die psychischen Probleme der Leute mit. Man kann das beispielhaft daran veranschaulichen, daß die Erschöpfungsdepression, also der Burnout, als Krankheitsbild recht neu ist. Was natürlich auch (und m. E. hauptsächlich) daran liegt, daß das Leben, das wir führen müssen, in einem Umfeld stattfindet, was diese Krankheit fast zwingend zur Folge hat. 70 Wochenarbeitsstunden, immer hochproduktiv sein und dazu noch Freizeitstreß haben, die eigenen Kinder ebenso prägen und mit drei Jahren in fremdsprachliche Betreuungen schicken, später mit Sport- und Musikkursen überhäufen oder - das Gegenteil - diese den direkten Folgen von Hartz-Armut und gesellschaftlicher Ausgrenzung bereits ab frühestem Kindesalter aussetzen zu müssen, prägt eben und macht auch oft krank.
Wie reagieren Kinder der Konsumgesellschaft denn auf den Mitschüler, der die Klassenfahrt nicht mitmachen kann oder ausschließlich gebrauchte Klamotten ohne nennenswerte Markennamen trägt oder sich das neue Apple-i-Schrott-Dingens nicht leisten kann? Ausgrenzung und Mobbing (also Psychoterror, um mal ein klares Wort zu benutzen) im Kindesalter prägen für's Leben, wenn ausgeprägt und intensiv und langanhaltend genug.