Als niederrheinische Hinterwäldler haben wir bisher in SD ferngesehen. Und auch das erst auf einem Flachbildschirm, seitdem vor gut zwei Jahren unser betagter Röhrenfernseher - nach dem alten Nachbarn, der ihn uns vererbt hat, "Herbert-TV" genannt - den Geist aufgegeben hat. Mitte November jedoch wurde die SD-Ausstrahlung diverser Sender, die wir gerne schauen, abgeschaltet, und nervtötende Laufbänder gaben seit Wochen den Rat, per Sendersuchlauf auf HD umzustellen. Haben wir versucht, hat nicht geklappt. Im Elektronikfachmarkt vermutete man, es läge am zu alten Satellitenreceiver, verkaufte uns für kleines Geld einen neuen, und nachdem wir die Technik mühselig niedergerungen haben, können wir nun hunderte neuer Sender empfangen. Ich bin restlos beeindruckt, was so alles zur Ausstrahlung kommt!
Selbstverständlich empfangen wir jetzt alle gängigen Programme in HD, aber das tatsächlich Faszinierende sind die Spartensender.
Unglaublich, wie viele unterschiedliche Programme für die Freunde der Volksmusik und des deutschen Schlagers es gibt, in denen zu Recht unbekannte oder vergessene Sangeskünstler mit so klangvollen Namen wie Ronny, Christoff, Anna-Carina Woitschack oder Die Capuccinos ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden. Sowie ein singender Pastor, dessen Name mir entfallen ist, der aber salbungsvolle Lieder "voller Trost und Freude" zum Besten gibt. Natürlich werden auch die Tonträger der in die heimischen Wohnzimmer gesendeten Künstler mit Fleiß beworben. Faszination des Grauens. Ich bin dermaßen gefesselt, dass meine Frau damit droht, dass ich sämtliche der angepriesenen CDs unter dem Weichnachtsbaum finden werde.
Unglaublich, wie viele Sender für religiös Verblendete es gibt, von erzkatholisch über liberal-protestantisch bis hin zu kauzigen Sektierern. Einer meiner Favoriten ist Die Neue Zeit TV. Hölzern wirkende Bekehrte verkünden stocksteif die Frohe Botschaft ihrer Prophetin mit dem wenig prätentiösen Namen Gabriele. Gabriele selbst nimmt im Nachtprogramm gerne mit schnarrender Stimme "Organsprechungen aus dem Geiste" vor. Hiermit heilt sie sämtliche organischen Leiden des geneigten Zuschauers, und es fallen Sätze für die Ewigkeit wie "Die Nebenniere lobpreist die Größe des Schöpfers" oder "Die Bauchspeicheldrüse gibt ihre Säfte in die Hand der Gottesmutter". In diesem Zusammenhang grusele ich mich auch gerne auf auf Astro TV, wo bedrohlich wirkende übergewichtige Frauen mit wirren Haaren ebenso verwirrten wie leichtgläubigen meist weiblichen Anrufern mit gerne von Engeln eingeflüsterten, tatsächlich aber dreist erlogenen Weissagungen das Geld aus der Tasch ziehen,
Unglaublich, wie viele Shoppingkanäle es gibt, und für was für einen Scheiß dort geworben wird. Unnütze Küchenmaschinen, Abnehmen leicht gemacht in Pillenform, Fitnessgeräte aus dem Folterkeller, neuartige Wunderreinigungsmittel oder zumeist bunt blinkende scheußliche Dekoartikel, mit denen sich hervorragend Haus und Garten verunstalten lassen, werden mit einer Begeisterung angepriesen, als habe man gerade die Weltformel entdeckt. Und offensichtlich auch gekauft.
Unglaublich, wie viele Sender für drittklassige Dokumentationen aller Art es gibt. Auch hier hat mich einer besonders verblüfft: TLC. In eine vorgeblich podologische Fachsendung, die tatsächlich lediglich das Ekelbedürfnis gewisser Zuschauer bedient, indem seit Jahren (!) ungepflegte Füße mit allerlei martialisch aussehendem Werkzeug gerichtet werden, möchte ich nie wieder versehentlich zappen.
Unglaublich, wie viele Regionalsender unbedeutender süddeutscher Klein-, Mittel- und Großtädte es gibt. Selbst Ingolstadt, das zu Auswärtsfahrten mit beeindruckenden sechzehn Anhängern anreist, hat einen eigenen Fernsehkanal. Neben Regionalnachrichten weiß hier besonders die Werbung zu überzeugen: Die örtliche Metzgerei Schnitzel auf der Hochstraße preist in grobpixeligen Standbildern ihre ebenso grobe Jagdwurst an, die Belegschaft des örtlichen Autoreparaturservice Meier/Müller/Schmitz, ansässig im Gewerbegebiet Süd, schraubt glücklich und blitzsauber an ebenso blitzsauberen Limousinen herum und strahlt anschließend auf einem Gruppenfoto in die Kamera, und der örtliche Männergesangsverein "Waldeslust" wirbt für sein Neujahrskonzert. Bei dem im Zweifelsfall Stargäste wie Ronny, Christoff oder Anna-Carina Woitschack auftreten.
Und so weiter und so fort. Hunderte von überflüssigen Kanälen. Ich habe bei aller Faszinination noch lange nicht alles gesehen, aber den Ehrgeiz, es irgendwann geschafft zu haben. Und dann wünsche ich mir die Zeit zurück, in der es nur drei Kanäle, Sendeschluss und Testbild gab.